Netzaktivist Flavien Gousset: «Demokratie lebt von der aktiven Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger», erklärt er in einem Post. Foto: Nathalie Taiana

«Das ist kein Freipass für klimaschädliches Verhalten»

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Auf Instagram wurde Flavien Gousset (25) mit Erklärvideos zu den Abstimmungen bekannt. Im Interview betont er den Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Klimakrise. Bücher des Schweizer UNO-Sonderberichterstatters Jean Ziegler haben ihn dazu gebracht, diesen zu erkennen.

Sein Markenzeichen ist sein WG-Küchentisch: Alle paar Monate setzt sich Flavien Gousset (25) mit zwei Getränken an den Tisch und dreht für jede anstehende Abstimmungsvorlage ein Erklärvideo – von der Abstimmung zum Jagdgesetz, über jene zum Vaterschaftsurlaub bis zu jener zum CO₂-Gesetz. «Demokratie lebt von der aktiven Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger», erklärt er in einem Post. Dass er sich mit einer klaren Meinung an der Demokratie beteiligt, verheimlicht er in seinen Videos nicht.

Diese Kombination findet Anklang. Inzwischen verfolgen rund 11’700 Menschen auf Instagram Flavien Goussets Tun. Mit seinen Videos erreicht er bis zu 150’000 Aufrufe. Immer wieder kooperiert er dabei auch mit der LGBTQ+-Aktivistin Anna Rosenwasser.  

Flavien Gousset, sind Sie ein Polit-Influencer?

Mir gefällt die Bezeichnung Netzaktivist besser. Unter Influencer:innen stelle ich mir Menschen vor, die bezahlt werden, um ihren Follower:innen Produkte oder Dienstleistungen schmackhaft zu machen. Das hat wenig bis gar nichts mit meinen Erklärvideos zu tun. Teilweise stecken in einem Video vier Tage unbezahlte Arbeit.

Ihre Videos leben auch von Ihrer klaren Haltung. Wie kam’s zu dieser?

Ich würde lügen, würde ich behaupten, das wüsste ich genau. Aber für mich war sicher prägend, dass ich nach der Primarschule von Biel an die Zürcher Goldküste gezogen bin. Meine Nachbarin in Biel trug frühmorgens Zeitungen aus, putzte spätabends eine Kinderkrippe und zog dazwischen in einer 3-Zimmer-Wohnung fünf Kinder gross. Und von einem Tag auf den anderen war ich an der Goldküste, wo gefühlt die Hälfte der Schulkamerad:innen ein Ferienhaus im Engadin hatte. Diese Ungleichheit empfand ich als wahnsinnig unfair. Und als ich mich auf die Suche nach Erklärungen dafür machte, empörte mich, dass sie international noch viel extremer ist.

Sie sagen, diese Erfahrung hat auch mit ihrem Verständnis für die Klimakrise zu tun. 

Auf der Suche nach Antworten lese ich viel. Mit 15 Jahren verschlang ich die Bücher von Jean Ziegler, dem damaligen UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. In einem Buch beschreibt er eine Szene, die mir bis heute nicht aus dem Kopf geht: Eine Mutter füllt einen Kochtopf mit Steinen und rührt so lange darin, bis ihre Kinder einschlafen. Sie sieht sich dazu gezwungen, weil wegen einer Dürre Nahrungsmittel fehlen. Durch Jean Ziegler habe ich verstanden: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Ungleichheit, Klimakrise und Tod.

Um auf Ihr Metier zurückzukommen: Können Sie erklären, wie dieser Zusammenhang aussieht?

Diejenigen Regionen der Welt, die den geringsten Anteil am Klimawandel haben, leiden am stärksten unter ihm. In Zahlen aus dem Climate Vulnerability Monitor heisst das: Die reichen Industrieländer sind für rund 70 Prozent der bisher emittierten Tonnen CO₂ verantwortlich, aber sie tragen nur 12 Prozent der Folgekosten. Auf der anderen Seite stehen Länder, die historisch sehr wenig zum Klimawandel beigetragen haben, die aber 82 Prozent der Gesamtkosten tragen müssen. Das heisst auch, dass Dürren, Überflutungen und Waldbrände ausgerechnet dort am heftigsten wüten, wo die Menschen am wenigsten Ressourcen haben, um deren Folgen aufzufangen. 

Leben Sie angesichts dieser Ungleichheit also absolut klimafreundlich? 

Nein, dafür müsste ich mich in den Wald zurückziehen und dort mein eigenes Gemüse anbauen. Ich glaube aber auch nicht, dass sich ein Problem dieser Tragweite nur dadurch lösen lässt, dass Individuen in die Verantwortung genommen werden. Viel entscheidender ist erwiesenermassen, dass Banken wie die UBS, die Credit Suisse oder die Nationalbank damit aufhören, riesige Geldbeträge in Konzerne zu investieren, die fossile Energien fördern. Diese Ausgangslage verstehe ich aber auch nicht als Freipass für klimaschädliches Verhalten. Ich esse etwa kein Fleisch, fliege nicht und werde erst bei sehr gutem Käse schwach. Schliesslich fühlt es sich auch gut an, wenn das, was man macht, mit dem übereinstimmt, was man für richtig hält.

Welchen Klima-Tipp würden Sie allen Menschen in der Schweiz geben?

Unterschiedliche. Dem CEO von Glencore würde ich raten, Natur und Mensch nicht mehr auszubeuten. Und allen anderen, dass sie sich den Bewegungen und Parteien anschliessen sollen, die ihm keine andere Wahl lassen. 

Sein Markenzeichen ist sein WG-Küchentisch: Alle paar Monate setzt sich Flavien Gousset (25) mit zwei Getränken an den Tisch und dreht für jede anstehende Abstimmungsvorlage ein Erklärvideo – von der Abstimmung zum Jagdgesetz, über jene zum Vaterschaftsurlaub bis zu jener zum CO₂-Gesetz. «Demokratie lebt von der aktiven Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger», erklärt er in einem Post. Dass er sich mit einer klaren Meinung an der Demokratie beteiligt, verheimlicht er in seinen Videos nicht.

Diese Kombination findet Anklang. Inzwischen verfolgen rund 11’700 Menschen auf Instagram Flavien Goussets Tun. Mit seinen Videos erreicht er bis zu 150’000 Aufrufe. Immer wieder kooperiert er dabei auch mit der LGBTQ+-Aktivistin Anna Rosenwasser.  

Flavien Gousset, sind Sie ein Polit-Influencer?

Mir gefällt die Bezeichnung Netzaktivist besser. Unter Influencer:innen stelle ich mir Menschen vor, die bezahlt werden, um ihren Follower:innen Produkte oder Dienstleistungen schmackhaft zu machen. Das hat wenig bis gar nichts mit meinen Erklärvideos zu tun. Teilweise stecken in einem Video vier Tage unbezahlte Arbeit.

Ihre Videos leben auch von Ihrer klaren Haltung. Wie kam’s zu dieser?

Ich würde lügen, würde ich behaupten, das wüsste ich genau. Aber für mich war sicher prägend, dass ich nach der Primarschule von Biel an die Zürcher Goldküste gezogen bin. Meine Nachbarin in Biel trug frühmorgens Zeitungen aus, putzte spätabends eine Kinderkrippe und zog dazwischen in einer 3-Zimmer-Wohnung fünf Kinder gross. Und von einem Tag auf den anderen war ich an der Goldküste, wo gefühlt die Hälfte der Schulkamerad:innen ein Ferienhaus im Engadin hatte. Diese Ungleichheit empfand ich als wahnsinnig unfair. Und als ich mich auf die Suche nach Erklärungen dafür machte, empörte mich, dass sie international noch viel extremer ist.

Sie sagen, diese Erfahrung hat auch mit ihrem Verständnis für die Klimakrise zu tun. 

Auf der Suche nach Antworten lese ich viel. Mit 15 Jahren verschlang ich die Bücher von Jean Ziegler, dem damaligen UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. In einem Buch beschreibt er eine Szene, die mir bis heute nicht aus dem Kopf geht: Eine Mutter füllt einen Kochtopf mit Steinen und rührt so lange darin, bis ihre Kinder einschlafen. Sie sieht sich dazu gezwungen, weil wegen einer Dürre Nahrungsmittel fehlen. Durch Jean Ziegler habe ich verstanden: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Ungleichheit, Klimakrise und Tod.

Um auf Ihr Metier zurückzukommen: Können Sie erklären, wie dieser Zusammenhang aussieht?

Diejenigen Regionen der Welt, die den geringsten Anteil am Klimawandel haben, leiden am stärksten unter ihm. In Zahlen aus dem Climate Vulnerability Monitor heisst das: Die reichen Industrieländer sind für rund 70 Prozent der bisher emittierten Tonnen CO₂ verantwortlich, aber sie tragen nur 12 Prozent der Folgekosten. Auf der anderen Seite stehen Länder, die historisch sehr wenig zum Klimawandel beigetragen haben, die aber 82 Prozent der Gesamtkosten tragen müssen. Das heisst auch, dass Dürren, Überflutungen und Waldbrände ausgerechnet dort am heftigsten wüten, wo die Menschen am wenigsten Ressourcen haben, um deren Folgen aufzufangen. 

Leben Sie angesichts dieser Ungleichheit also absolut klimafreundlich? 

Nein, dafür müsste ich mich in den Wald zurückziehen und dort mein eigenes Gemüse anbauen. Ich glaube aber auch nicht, dass sich ein Problem dieser Tragweite nur dadurch lösen lässt, dass Individuen in die Verantwortung genommen werden. Viel entscheidender ist erwiesenermassen, dass Banken wie die UBS, die Credit Suisse oder die Nationalbank damit aufhören, riesige Geldbeträge in Konzerne zu investieren, die fossile Energien fördern. Diese Ausgangslage verstehe ich aber auch nicht als Freipass für klimaschädliches Verhalten. Ich esse etwa kein Fleisch, fliege nicht und werde erst bei sehr gutem Käse schwach. Schliesslich fühlt es sich auch gut an, wenn das, was man macht, mit dem übereinstimmt, was man für richtig hält.

Welchen Klima-Tipp würden Sie allen Menschen in der Schweiz geben?

Unterschiedliche. Dem CEO von Glencore würde ich raten, Natur und Mensch nicht mehr auszubeuten. Und allen anderen, dass sie sich den Bewegungen und Parteien anschliessen sollen, die ihm keine andere Wahl lassen. 

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Erste Veröffentlichung: 
9.8.2022
  |  Letztes Update: 
9.8.2022
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